Jurybegründung zu GESICHTER DER GROSSSTADT – DIE THEATER CHEMNITZ

Die Produktion GESICHTER DER GROSSSTADT wurde von der Jury am 28.09.2017 als Preisträger des SÄCHSISCHEN TANZPREISES im Rahmen der offiziellen Festveranstaltung in der Semperoper Dresden mit folgender Begründung gekürt.

„Edward Hoppers „Bilder der amerikanischen Seele“ erheben alltägliche Erfahrungen unseres Lebens auf eine epische, zeitlose Ebene. Sie eröffnen in ihrer Kargheit die Möglichkeit, Details des eigenen Lebens in seine gemalten Szenen der Einsamkeit und des Stillstandes hineinzuprojizieren. Beide Teile des Ballettabends gehen auf unterschiedliche Weise damit um.

Während Rainer Feistel in den genial von Hans Winkler für die Bühne gestalteten Räumen Hoppers mit ihren Szenen des einsamen Rückzuges der hier im seelischen und körperlichen Stillstand eingeschlossenen Menschen der Frage nachgeht, wie sie an jene Orte, in jene Situationen, gekommen sind und sie auch wieder verlassen könnten, löst Yiming Xu die räumlichen Begrenzungen auf und führt die Tänzerinnen und Tänzer aus den Situationen der Vereinzelung in die Anonymität einer Gruppe von Menschen. Feistels Choreografien sind von großer Zuneigung getragen, die sich aus Hoppers Bildern herleitet. Die einsamen Menschen werden nicht bloß gestellt, Vergeblichkeiten misslingender Kommunikation nicht ausgestellt. Ein Hauch von Sehnsucht durchzieht diese Szenen, wenn sich bei Versuchen minimaler Annäherungen zarte Visionen der Überwindung ihrer Einsamkeit erahnen lassen.

So wie diese kammerspielartigen Szenen ihre Kraft und Berührung aus der individuellen Präsenz der Tänzerinnen und Tänzer beziehen, so auch bei gänzlich anderer choreografischer Gestaltung in den Szenen von Yiming Xu im jetzt von Hans Winkler großflächig geweiteten Raum mit zu Silhouetten gefügten Motiven der Bilder als Begrenzung am Bühnenhorizont. Der Choreograf nimmt die Momente des Aufbruchs der Einzelnen von Rainer Feistel auf und an. Dies geschieht durch überzeugende Zusammenführung verschiedener Formen des zeitgenössischen Tanzes und der Herausstellung des persönlichen Bewegungsduktus der einzelnen Tänzerinnen und Tänzer. Somit aufgebrochene Energien bündeln sich in raumfüllenden dynamischen Ensembles. Ihre Einsamkeit können sie nicht überwinden. Sie verlieren sich in Raum und Zeit, in der Urbanität mit ihrer Weite und Unüberschaubarkeit.

Versuche des Auf- oder Ausbruchs, Aktionen einzelner Individuen bleiben bizarr und absurd wie kleine Lichtblitze, die sie nicht davor bewahren können einverleibt zu werden in der Anonymität der Massen großer Städte. So überzeugen kraft künstlerischer Gestaltung bei jeweils besonderer Ästhetik beide Choreografien durch konstruktive Korrespondenzen möglicher Assoziationen auf dem Hintergrund gegenwärtiger Erfahrungen urbaner Einsamkeit.“

Preisverleihung des Sächsischer Tanzpreises an DIE THEATER CHEMNITZ (c) David Pinzer Preisträger des Sächsischer Tanzpreises - DIE THEATER CHEMNITZ (c) David Pinzer (Fotos: David Pinzer)

Herzlichen Glückwunsch an DIE THEATER CHEMNITZ!